Der Egidienstein bei Eltersdorf ist eines jener Motive, die ich bereits seit Jahrzehnten mit der Kamera dokumentiere. Die erste Aufnahme ist mehr als 30 Jahre alt und entstand am 31.10.1988 um 08:00 Uhr am Morgen. Es war die Zeit, als ich nahezu ausschließlich in schwarzweiß mit der 8×10 Inch Großformatkamera fotografierte. Deshalb sind meine Aufzeichnungen hierzu sehr genau. Ich hatte das Motiv bereits Wochen vorher gesehen, es aber nicht fotografiert, weil im Hintergrund die Bahnlinie verlief und der Egidienstein mit den zwei kleinen Bäumchen zu viel Ablenkung erfahren hätte. Ich wollte abwarten, bis Nebel den Hintergrund sozusagen „ausblendet“. Das war dann am Morgen des 31. Oktobers der Fall. Die Großformatkamera war in einem speziell konstruierten Fahrradanhänger zusammen mit den fünf Kassetten und sonstigem Zubehör verstaut und es dauerte ca. 30 Minuten, bis ich mein Ziel erreicht hatte. Der Rest war fotografische Routine: Kamera aufstellen mit dem schweren Manfrotto Stativ, exaktes scharfstellen mit der Lupe, Belichtungsmessung mit dem Spotmeter, Einstellungen auf die Kamera übertragen, Kassette einlegen, Schieber ziehen und Aufnahme machen, fertig.
Jeder Film wird dabei individuell belichtet und entwickelt. Die Entwicklungsparameter werden dabei bereits bei der Belichtungsmessung festgelegt. Hier war es nötig, eine N+2 Entwicklung zu machen, um den geringen Kontrastumfang durch den Nebel von Zone VI auf VIII anzuheben. Das definiert dann auch den ISO Wert (250) und die Belichtungsparameter f/32 1/3 bei 1/8 sec. Eine Aufnahme reichte mir damals und ich wusste, dass das Ergebnis stimmen würde. In der Rückschau ist mir das wichtig zu erwähnen, weil es eine Arbeitsweise beschreibt, der ich mich heute wieder annähere. Mit meiner jetzigen Technik, wo ich bei einer sehr genauen Belichtung nach rechts (ETTR) versuche, bestmöglichen Tonwertumfang des digitalen Sensors auszunutzen. Mein damaliges Wissen basierte auf hunderten von Testaufnahmen und Planfilmentwicklungen, die mir die Sicherheit gaben, das gewünschte Ergebnis bezüglich Schwellenwert und maximaler Filmdichte in den Lichtern zu erreichen. Heute kann ich ebenfalls von meinen Experimenten mit dem an der Kamera angeschlossenen Computer profitieren, der mir anzeigt, wann der kritische Clippingpunkt erreicht ist. Bei der digitalen Bearbeitung am Computer sehe ich dann, wie sich das Wissen von damals mit dem heutigen vereint. Es sind die Tonwerte, die das Ergebnis maßgeblich bestimmen. Bei einem großformatigen Negativ mit 8×10 Inch, transferiert auf das Silber-reichste Fotopapier, das es damals gab (Kodak Elite) ist das trotz allem noch eine handwerkliche Herausforderung gewesen. Heute kann ich mit einem optimal belichteten RAW-Bild ein Vielfaches mehr erreichen, da der Prozess mit Lightroom und Photoshop sehr viel leichter gesteuert werden kann.
Den Egidienstein fotografierte ich in der Folgezeit immer wieder. Wirklich total schockiert war ich dann 2019, als ich sah, dass einer der zwei Bäume abgesägt war. Von da an wusste ich, dass ich hier als ein Zeitzeuge tätig bin. Auf den letzten Bildern ist nun erkennbar, dass bereits zwei junge Bäumchen gepflanzt sind, die irgendwann einmal wieder so dastehen werden, wie die beiden Bäumchen auf meinem ersten Bild aus dem Jahr 1988. Natürlich heißt das auch, dass dann der zweite Baum ebenfalls verschwunden sein wird. Meine Bilderstrecke wird dann wieder von vorne beginnen. Wie lange werde ich selbst sie noch weiterführen können?
Bildergalerie Egidienstein: © Wilhelm Kleinöder, 2021, (CC BY-NC-ND 3.0 DE).